Beim letztjährigen Wettbewerb „Gesunde Haltung – Gesunde Pferde“ sind wir auf einen Pferdebetrieb aufmerksam geworden, der in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich ist: Gut Heinrichshof in Sachsen.
Beginnen wir mit der geografischen Lage. Das Klischee ist so alt wie der Reitsport in Deutschland: Die Wiege des Reitsports steht im Münsterland und da sind auch die tollen Betriebe. Wer hätte einen Vorzeigebetrieb zwischen Dresden und Bautzen vermutet – wahrscheinlich niemand. Das heutige Gut Heinrichshof war, wie viele Ställe in den neuen Bundesländern, einmal eine LPG. Das erkennt man heute aber nur noch an den riesigen, arrondierten Flächen. Das ehemalige Verwaltungsgebäude ist geschmackvoll saniert und zu Mietwohnungen ausgebaut, daneben steht das renovierte Wohnhaus der Familie Romanazzi, die die Anlage führt. Die Reitanlage selbst ist ein moderner Neubau. „Das haben wir immer schon so gemacht“ – diesen Satz, der besonders auf Reitanlagen sehr beliebt ist, scheint es auf Gut Heinrichshof nicht zu geben.
Veränderungen gehören dazu
Der Heinrichshof ist in einem stetigen Veränderungsprozess, überall wird gebaut und verbessert. „Mir kann es dabei gar nicht schnell genug gehen“, lacht Dr. Tanja Romanazzi. Dabei legen die Romanazzis auf der einen Seite sehr großen Wert darauf, ihre Vision einer Pferdehaltung mit sehr viel Bewegung umzusetzen. Auf der anderen Seite muss der Betrieb aber auch arbeitswirtschaftlich sinnvoll funktionieren.
Das fängt schon im ältesten Teil des Betriebes an, dem an die Reithalle angeschleppten Boxenstall. Auf beiden Seiten gibt es außen eine Reihe Boxen mit Paddocks davor. Innenliegende Boxen ohne Auslauf gibt es nicht. In den Boxen wurde jeweils eine Entmistungsanlage eingebaut, die auf der einen Seite des Stalls direkt auf den Misthaufen läuft, auf der anderen auf einen Anhänger. Hinter der kurzen Seite, der mit einem Ebbe-Flut-System ausgerüsteten Reithalle gibt es einen großzügigen Putzplatz. So stehen nicht dauernd Pferde in den Stallgassen, die so dimensioniert sind, dass sie problemlos mit dem Hoflader befahren werden können.
Der Sinneswandel
Gebaut wurde die Reitanlage im Jahr 2000 – Romanazzi war damals noch selbst als Dressurreiterin auf Turnieren unterwegs und baute deshalb einen typischen Turnierstall. Eine 20 x 60 Meter große Reithalle mit Ebbe-Flut-Boden mit zwei angeschleppten Stallgassen und knapp 40 Boxen war das Herzstück der Anlage. Eine Reitanlage, wie es tausende gibt. Aber dann kam der Sinneswandel.
Die Romanazzis lernten sich kennen und der Westernreiter und die Dressurreiterin setzten sich intensiv mit Alternativen in der Pferdehaltung auseinander. Klar war, die klassische Boxenhaltung sollte es immer weniger sein. Ursprünglich als Altersruhesitz für die Dressurpferde der Einstaller gedacht, wurde bald der erste Aktivstall gebaut. Aber die Suche nach Alternativen ging weiter und von Seiten der Einstaller war der Bedarf nach Haltungskonzepten da, die es den Besitzern ermöglichen, sich nicht jeden Tag um die Bewegung der Pferde kümmern zu müssen. Das ist natürlich ein schwieriger Punkt, denn grundsätzlich ersetzt kein Haltungssystem die Bewegung der Pferde unter dem Sattel oder an der Hand. Aber letztendlich entscheidet der Markt und der gibt den Romanazzis recht. Denn immer mehr Pferde wandern von der Box in andere Haltungsformen.
Bewegungsstall aus Überzeugung
Spannend ist, dass die Umstellung nicht aus der Not, sondern aus Überzeugung erfolgte. Der Boxenstall war komplett vermietet, als die Romanazzis anfingen, die Pferdebesitzer zu überzeugen, ihre Pferde in offenere Haltungsformen zu bringen. Natürlich funktioniert das nie komplett. „Als ‚Zwischenlösungen’ haben wir Boxenwände abgebaut und Paddocks zusammengefasst. So sind kleine Zweier- oder Dreiergruppen entstanden. Eigentlich möchten wir keine Boxen mehr, aber wenn der Besitzer es nicht anders will, muss man Kompromisse eingehen, vor allem weil wir Einstaller haben, die extra in die Umgebung gezogen sind oder sogar ihr Haus hier gebaut haben“, so Romanazzi.
Ein Stall, der keiner mehr ist
Es gibt mittlerweile viele Haltungskonzepte auf dem Markt, die das ursprüngliche Muster, Pferde werden im Stall gehalten und draußen in irgendeiner Form bewegt, aufbrechen wollen. Von Paddockboxen über verschiedenste Offenstallkonzepte bis hin zu Bewegungsstallkonzepten wie den Aktivställen bietet der Markt viele Alternativen. All diesen ist aber gemein, dass sie einen Stall, wie auch immer dieser aussieht, als zentrales Element haben und die Bewegung der Pferde drumherum planen. „Da muss aber mehr gehen“, dachte sich TanjaRomanazzi – fündig wurde sie in den USA.
Paddock Paradise oder Paddock Trail ist ein Konzept, bei dem der Stall nicht mehr im Mittelpunkt steht. Natürlich gibt es auch eine Liegehalle für die Pferde – bei den Romanazzis mit Liegematten, ohne Einstreu. Das Kernelement ist ein sogenannter Track oder auch ein Trail (quasi ein Pfad), der außen um die verfügbare Fläche herumführt und der die Wanderrouten nachbildet. Den Anstoß für den neuen Stall, der auch bei Schade und Partner ausgezeichnet wurde, gab das Buch „Paddock Paradise – A Guide to Natural Horse Boarding“ von Jamie Jackson. Jackson, ehemaliger Hufschmied, versucht mit seinem Haltungskonzept, die Bewegung der Pferde in der Natur nachzubilden. Pferde laufen von der Futterstelle zum Wasser, suchen einen Ruhe- oder Schlafplatz, suchen wieder Futter und legen so viele Kilometer am Tag zurück.
Die Trail-Gruppe
Genau das versucht der Paddock Trail nachzuempfinden. Zwischen der Liegehalle, den Raufutterstationen und der Tränke liegen Wege, die auch noch mit Hindernissen versehen sind. Diese Anordnung soll die Pferde in Bewegung halten. Es fällt direkt auf, dass die Gruppe extrem ruhig ist. Es gibt nicht die typischen Alpha-Tiere, die versuchen, die Fressplätze zu verteidigen. Natürlich gibt es auch in der Trail-Gruppe ranghohe und rangniedrige Tiere. Aber auch die müssen mal zur Tränke oder wollen an die Heuraufe oder in den Schatten. So ist die Herde in mehreren Gruppen in Bewegung, die viel weniger Konfliktpunkte haben als in einem gewöhnlichen Offenstall. Das Konzept des amerikanischen Hufschmieds findet auch bei seinen deutschen Kollegen Anklang. Der ständig wechselnde Bodenbelag stimuliert die Pferdehufe. Auch Barhufer kommen so auf dem Trail problemlos zurecht.
Der Weg ist der Stall
„Auf dem Track spielt sich das Pferdeleben in möglichst verteilter und vielfältiger Form ab“, erklärt Romanazzi. Es gibt Heuraufen, Wälzplatz, Tränke, Lecksteine und einen Unterstand. Zudem sollte der Boden des Tracks möglichst vielfältig sein (befestigt zum Beispiel mit Schotter, Rasengittersteinen, Raster mit Sand, Naturboden), um das Wachstum und den Abrieb der Hufe zu optimieren. „Auch Steigungen oder Wasserfurten bereichern einen Paddock Trail, da sie die Pferde wie in der Natur fordern und Abwechslung bieten“, erklärt Romanazzi weiter. Die Pferde verbringen viel Zeit auf dem Trail und haben zusätzlich noch Weidegang.
Die Weiden stehen den Pferden aber nicht permanent zur Verfügung, weil dies dem Bewegungskonzept widersprechen würde. So haben die Pferde auf Gut Heinrichshof stundenweise Weidegang. „Diese Einschränkung wird gemacht, weil die Art der Weiden mit dem eher ‚fetten‘ Bewuchs für unsere Pferde nicht wirklich geeignet ist und weil die Pferde sich sonst nicht so viel bewegen würden“, so Romanazzi. Über die Weiden werden auch neue Pferde in die Gruppe integriert. Ein neues Pferd kommt immer dann auf die Weide, wenn die anderen auf dem Trail sind, und umgekehrt. So hat die Gruppe Kontakt, aber noch mit einem Weidezaun dazwischen.
Einer der wichtigsten Mitarbeiter
Der Hoflader ist einer der wichtigsten Mitarbeiter auf Gut Heinrichshof. „Der läuft bei uns eigentlich den ganzen Tag“. Vor allem im Paddock Trail spielt er eine große Rolle. Im Gegensatz zum Aktivstall gibt es hier keine zentrale Raufutterstation, sondern über den Trail verteilte Heuraufen, die einzeln gefüllt werden müssen. Leider ist das Wetter im östlichen Sachsen nicht immer so schön wie bei unserem Besuch. Also musste eine Wegbefestigung gefunden werden, die pferdegerecht ist und gleichzeitig verhindert, dass der Hoflader einsinkt. Denn Pferde und Lader müssen sich die gleichen Wege teilen. Eigene Versorgungswege für die Maschinen würden nämlich quer durch die Koppeln führen. Das wäre nicht sinnvoll, weil dann zu viele Zäune geöffnet werden müssten. Die Lösung waren Gitterplatten, wie sie auch sonst zur Befestigung von Paddocks dienen. Auf Gut Heinrichshof sind sie aber nicht nur rund um die Fressständer verlegt, sondern – wie eine Autobahn – rund um den gesamten Trail. Auch die Hindernisse im Trail werden maschinengerecht gebaut. Da gibt es zum Beispiel die drei versetzt liegenden Baumstämme, die die Pferde zum Slalomlaufen oder Darüberklettern animieren sollen. Sie liegen genau so, dass der Hoflader mit seiner Knicklenkung zwischen den Stämmen manövrieren kann.