Zum Abschuss von Wölfen existieren Grundsätze, die der Europäische Gerichtshof festgelegt hat. Unklarheit darüber herrschte in einem aktuellen Beispiel zur Jagd des Iberischen Wolfs in Kastilien und León (Spanien).
Der Wolf darf auf regionaler Ebene nicht als jagdbare Art bezeichnet werden, wenn sein Erhaltungszustand auf nationaler Ebene ungünstig ist. Dies gilt selbst dann, wenn er in der betroffenen Region nicht im Sinne der Habitatrichtlinie streng geschützt ist. Die Maßnahmen zur Verwaltung der Arten wie die Jagd müssen nämlich in jedem Fall darauf abzielen, diese Arten in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen.
Die Habitatrichtlinie wurde mit dem Ziel erlassen, ein wesentliches Ziel der Union von allgemeinem Interesse zu erreichen: die Erhaltung, den Schutz und die Verbesserung der Qualität der Umwelt. Dabei soll die Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen gesichert werden.
In Spanien unterliegen die Populationen des Iberischen Wolfs gemäß der Richtlinie unterschiedlichen Schutzregelungen: Dabei sind die Populationen südlich des Duero streng geschützt, während die Populationen nördlich des Duero als Tierart von gemeinschaftlichem Interesse eingestuft sind und Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können.
Regionales Gesetz vs. Nationale Erhaltungsstrategie
Ein regionales Gesetz stuft den Wolf als jagdbare Art in der Autonomen Gemeinschaft Kastilien und León (Spanien) nördlich des Duero ein. 2019 genehmigte die Regionalregierung einen Plan für die lokale Nutzung des Wolfs in den Jagdgebieten nördlich des Duero für die Jagdperioden 2019/2020, 2020/2021 und 2021/2022. Insgesamt durften gemäß diesem Plan 339 Wölfe gejagt werden. Gegen diesen Plan klagte die Vereinigung für die Erhaltung und die Erforschung des Iberischen Wolfs (ASCEL) beim Obergericht von Kastilien und León.
An der Vereinbarkeit des Regionalgesetzes mit der Richtlinie hatte das spanische Gericht Zweifel. Deshalb befragte es den Gerichtshof der Europäischen Union. Gemäß einem 2019 von Spanien an die Kommission übermittelten Bericht für den Zeitraum 2013-2018 befand sich der Wolf in den drei Regionen, in denen er im nationalen Staatsgebiet vorkam (mediterrane, atlantische und alpine Region), in einem „ungünstig – unzureichenden“ Erhaltungszustand. Dabei schließen die mediterrane und atlantische Region Kastilien und León ein.
Gerichtshof bestätigt: Regionalgesetz verstößt gegen EU-Richtlinie
Der Gerichtshof der Europäischen Union stellte klar, dass das Regionalgesetz gegen die Richtlinie verstößt. Der Wolf darf nicht als jagdbare Art in einem Teil des Staatsgebiets eines Mitgliedstaats bezeichnet werden, wenn sein Erhaltungszustand auf nationaler Ebene ungünstig ist. Dass eine Tierart Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein kann, bedeute nicht automatisch, dass ihr Erhaltungszustand günstig ist. Ziel dieser Maßnahmen muss sein, die betreffende Art in einem günstigen Erhaltungszustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen. Falls diese Maßnahmen Vorschriften über die Jagd beinhalten, sind sie daher dazu bestimmt, die Jagd einzuschränken und nicht auszuweiten. Sollte es nötig sein, kann die Jagd – in diesem Fall auf den Wolf – sogar verboten werden.
Schutzmaßnahmen für den Wolf sind notwendig
Wird die Jagd erlaubt, braucht es dafür eine Begründung und die Entscheidung muss auf Daten zur Überwachung des Erhaltungszustands gestützt werden. Besondere Aufmerksamkeit muss der Überwachung gelten, wenn diese Art allgemein als Art von gemeinschaftlichem Interesse angesehen wird. Die Autonome Gemeinschaft Kastilien und León hat bei der Ausarbeitung des streitigen Plans den Bericht aus dem Jahr 2019 jedoch nicht berücksichtigt. In diesem stand, dass der Wolf sich in Spanien in einem ungünstigen Erhaltungszustand befand.
Die Bewertung des Erhaltungszustands einer Art und der Frage, ob es angezeigt ist, Verwaltungsmaßnahmen zu erlassen, ist also unter Berücksichtigung des von den Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie alle sechs Jahre erstellten Berichts sowie der neuesten wissenschaftlichen Daten durchzuführen. Diese Bewertung zielt nicht nur auf die lokale Ebene ab, sondern auf die biogeografische Region oder sogar grenzüberschreitend. Befindet sich eine Tierart in einem ungünstigen Erhaltungszustand, müssen die zuständigen Behörden Maßnahmen ergreifen, um den Erhaltungszustand der Art so weit zu verbessern, dass deren Populationen in Zukunft dauerhaft einen günstigen Erhaltungszustand erreichen. In diesem Rahmen können Schutzmaßnahmen wie die Beschränkung oder das Verbot der Jagd notwendig sein, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich der Risiken bleibt, die für die Erhaltung dieser Art bestehen (Vorsorgeprinzip).
EuGH stärkt Wolfsschutz
Der EuGH hatte bereits zuvor in einem Urteil um einen Wolf aus Österreich den Wolfsschutz gestärkt. Das Tier hatte in Tirol einige Schafe gerissen woraufhin die Tiroler Landesregierung den Abschuss des Wolfes genehmigt hatte. Tierschutz- und Umweltorganisationen legten daraufhin Klage ein. Das Tiroler Gericht legte dann grundsätzliche Fragen zum Wolfsschutz dem EuGH vor. Das Gericht bestätigte, dass Wölfe in der EU streng geschützt sind. Außerdem stellen mittelbare wirtschaftliche Schäden für Nutztierhalter keinen Grund dar, der einen Wolfsabschuss rechtfertigen würde, wenn nicht sicher ist, welcher Wolf die Tiere gerissen hat. Zudem müsse der Abschuss von Wölfen die absolute Ausnahme bleiben. Dem müssen Schutzmaßnahmen für Nutztiere zuvorkommen, wie etwa Zäune und Schutzhunde. Auch rechtfertigen hohe Kosten für den Herdenschutz allein keinen Abschuss.